Jörg Müller, Advice & Opinion Asset Management, plädiert im Gespräch mit DIE
STIFTUNG für höhere Aktienquoten in einem Stiftungsportfolio und erklärt eine alternative
Strategie für Stiftungen, dem Renditedilemma zu entkommen.
DIE STIFTUNG: Was empfehlen Sie Stiftungen jetzt, wie diese ihr Vermögen
anlegen sollen?
Jörg Müller: Aktienanteil rauf, Rentenanteil runter. Das ist eine einfache Gleichung,
die kurzfristig vielleicht nicht aufgeht, die aber auf Sicht von ein paar Jahren
vermutlich der einzige Ausweg aus dem Renditedilemma ist.
DIE STIFTUNG: Renditedilemma, das hören wir heute nur allzu oft. Was gäbe es
denn für Stiftungen noch für Auswege, hier herauszukommen?
Müller: Naja, die Vermögensanlage ist ja nur eine Schraube, an der Stiftungen
drehen können. Eine andere wäre zum Beispiel eine aktivere Spendenpolitik, also
das Einwerben neuer Spender bzw. die aktivere Betreuung und Pflege bereits
bestehender Spender. Diese Unterstützer nämlich werden doch aktuell von so vielen
Organisationen umworben, dass Stiftungen sich schon etwas einfallen lassen
müssen, wie sie sich im Wettbewerb durchsetzen. Aber was ist an diesem
Wettbewerb schlecht? Wenn Stiftungen wirklich die Lücken füllen wollen, die ihnen
der Staat ob seiner nicht mehr erfüllbaren Sozialversprechen überlässt, müssen
Stiftungen ohnehin noch viel professioneller werden. Das fängt bei der
Projektauswahl an, geht über die Spendenpraxis bis hin zur Vermögensanlage.
Stiftungen können Aktien kaufen, oder fundraisen.
DIE STIFTUNG: Stiftungen sollen folglich vor allem ihr Vermögen
professioneller verwalten? Dazu benötigen sie aber Hilfe von
Vermögensverwaltern wie Ihnen. Was machen Sie besser als die Hausbank oder
der Hobbybörsianer?
Müller: Vor allem können wir Stiftungen dahingehend begleiten, ihnen zu vermitteln,
dass Vermögensanlage gerade von Stiftungsvermögen im Rahmen eines Stiftungsportfolios ein permanenter Prozess ist. Und dieser beginnt eben nicht bei der Auswahl irgendeiner Aktie, sondern viel
früher. Stiftungen brauchen ein Rahmengerüst, die so genannten Anlagerichtlinien.
Bei der Ausarbeitung dergleichen können wir einen wertvollen Beitrag leisten. Denn
sich frühzeitig über eine grundsätzliche Vermögensaufteilung Gedanken zu machen,
das ist viel wertvoller als Aktientipps aus Zeitschriften zu sammeln und dann zu
hoffen, dass einer davon das Depot nach oben reißt. Stimmt die grobe Struktur des
Depots nicht, rettet sie ein guter Aktienkauf auch nicht mehr. Die Portfoliostruktur
ist umso wichtiger, als dass für Stiftungen in diesen Tagen wichtige Entscheidungen
anstehen.
DIE STIFTUNG: Die da wären?
Müller: Naja, ob sie sich bewusst enteignen lassen wollen, indem sie weiter
Staatsanleihen halten oder eben einen Schritt in eine unbekannte Welt gehen. In die
Welt der Aktien. Bleiben Stiftungen einzig in ihrer Anleihen-Komfortzone investiert,
dann werden sie früher oder später ihr blaues Wunder erleben. Oder glauben Sie
ernsthaft, dass deutsche Bundesanleihen ein wirklich sicherer Hafen sind? Auch
Deutschland ist hoch verschuldet, auch Deutschland hat über seine Verhältnisse
gelebt. Allerdings haben wir ein Geschäftsmodell, das in der Lage ist, das alles zu
schultern. Noch.
DIE STIFTUNG: Also wird auch der sichere Hafen Bundesanleihe für Stiftungen
bald zum Problemfall?
Müller: Ob bald, das weiß ich nicht, aber ich vermute dass eine Verklumpung mit
Bundesanleihen gerade Stiftungsportfolios zusetzen wird. Allerdings ist das nicht
alternativlos, denn Stiftungen haben ja die Freiheit, sich auch anderen
Anlageklassen zuzuwenden. Zum Beispiel der Aktie. Das mit dem funktionierenden
Geschäftsmodell habe ich nicht umsonst erzählt, denn dahinter stecken ja starke
Unternehmen, die aktuell nicht zu teuer bewertet sind. Im Gegenteil, ich würde mich
sogar dazu hinreißen lassen zu sagen, dass viele Aktien derzeit alternativlos günstig
sind. Auch Stiftungen sollten sich überlegen, manche Dinge günstig einzukaufen,
und eben nicht teuer. Denn letzteres gilt momentan für nahezu jegliche Anleihe.
Anleihen sind in der Breite zu teuer, und werden am Ende des Jahrzehnts auf eine
maue Wertentwicklung zurückblicken.
DIE STIFTUNG: Also stehen wir umgekehrt vor einem Jahrzehnt der Aktie?
Müller: Ja, so weit würde ich gehen. Aktien sind günstig bewertet, viele
Unternehmen stehen bilanziell gut da, sind substanziell also voll im Saft und
profitieren von ihrer überragend guten Stellung im globalen Wettbewerb. Außerdem
schütten zahlreiche Konzerne üppige Dividenden aus, was für Stiftungen ein Ersatz
für ausbleibende Kuponzahlungen aus dem Anleihebereich sein kann. Stiftungen
sollten den Effekt der Dividenden nicht unterschätzen. Wir arbeiten zudem mit
einem auf demografischen und volkswirtschaftlichen basierenden Modell, das uns
mutmaßen lässt, die wirtschaftliche Schwäche, die alle erwarten, fällt weniger stark
ausgeprägt aus. Insofern fehlt noch ein Auslöser für eine Rallye am Aktienmarkt.
Vielleicht ist es ja eine Pflicht für Versicherer, ihre Aktienquoten auf 10%
hochzufahren.
DIE STIFTUNG: Ist so etwas denkbar?
Müller: Momentan werden die großen Kapitalsammelstellen wie Pensionskassen und
Versicherungen gezwungen, deutsche und europäische Staatsanleihen zu kaufen.
Zwang entsteht dadurch, dass beispielsweise nur mehr Zinspapiere mit einem AAARating
gekauft werden dürfen. Bundesanleihen haben AAA, also stehen sie auf den
Kauflisten ganz oben. Und weil der Aktienmarkt hin und her taumelt, traut sich auch
so recht keiner in die Aktien hinein. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es nicht
mehr lange dauert, bis auch Stiftungen an einer substanziellen Aktienquote nicht
mehr vorbeikommen.
DIE STIFTUNG: Wenn Sie also für Aktien plädieren, welche Titel sollten es denn
sein im Stiftungsportfolio?
Müller: Es sollten Qualitätsaktien sein, mit einer außerordentlich guten
Bilanzqualität, niedriger Volatilität im Aktienkurs und einem berechenbaren
Geschäftsmodell. Wir bezeichnen das auch als „Wahre Werte“. Solche Aktien gibt es
zuhauf und lassen sich schön zu einem Portfolio zusammenstellen. Allerdings
dürfen Stiftungen nicht blindlings Aktien kaufen und dann liegen lassen, denn diese
Zeiten sind vorbei. Ohne einen vermögensverwaltenden Überbau, der vor allem eine
Verlustbegrenzung bei den einzelnen Anlageinstrumenten gewährleistet, sollte
heute keine Stiftung mehr agieren. Ganz wichtig ist dabei auch, sauber zu
dokumentieren, warum sie zu einer Entscheidung pro Aktie gekommen sind. Denn
die Aufsichten haben hierbei bisweilen Probleme. Ist eine Entscheidung nicht
nachzuvollziehen, wird’s eng mit dem Aktienkauf. Eine Alternative können auch die
Unternehmensanleihen der Qualitätsaktien sein. Mir gefällt hier der oftmals deutlich
höhere Zins gegenüber deutschen Bundesanleihen, sowie die hohe Solidität.
Unternehmensanleihen werden aus den Cash Flows bedient und nicht aus
Steuergeldern.
DIE STIFTUNG: Ein klares Plädoyer für den Aktienkauf, haben Sie vielen Dank
für die offenen Worte.
Das Gespräch führte Tobias M. Karow